Mit welchen Manövern kann die unschuldige Frische eines Europan-Projektes im Regime des Wiener Wohnbaus weiterleben?

Das Verfahren sollte im Rahmen einer kooperativen Arbeitsstruktur das städtebauliche und typologische Konzept des Europan 12-Preisträgerprojekts am Standort Wien Siemensäcker konkretisieren, sodass bei Wahrung entsprechender Qualitäten die Grundlagen für ein im Rahmen des leistbaren und geförderten Wohnbaus in Wien umsetzbares Projekt gegeben sind. Ziel des Verfahrens war ein Projekt, das die Grundlagen für die Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung liefert und darüber hinausgehend Kriterien zur Sicherung wichtiger Qualitäten formuliert.  


VIELFALT DER WOHNFORMEN UND NIEDERSCHWELLIGE URBANITÄT Unterschiedliche Körnungen der Struktur, von groß bis klein, fördern die Durchmischung verschiedener Wohnformen und ermöglichen unterschiedliche Entwicklungsmodelle: von Genossenschaftsbauten über Baugruppen bis zu freifinanzierten Wohnbauten. So kann auch im fast „reinen“ Wohngebiet eine gewisse Durchmischung provoziert werden. Der „urbane Kilometer“ bündelt die aktiven Bereiche im Erdgeschoß, wie attraktive Hauseingänge und Gemeinschaftsräume, entlang der „urbanen Gassen“, um hier mit den vorhandenen Mitteln der Wohnnutzung eine niederschwellige Urbanität zu schaffen, die aus der Wohnsiedlung ein lebendiges Stadtquartier macht.

EUROPAN-IMPLEMENTIERUNG

Das städtebauliche Gesamtprojekt basiert auf der kooperativen Überarbeitung des Europan 12-Preisträgerprojekts von SLLA architects. In mehreren Workshops wurden Mobilität, Freiraum und Bebauung konkretisiert und die Umsetzbarkei unter Einbeziehung lokaler PlanerInnen überprüft und optimiert. Die zentrale Frage lautete: Wie lassen sich die Qualitäten des Europan-Konzepts mit den Anforderungen des leistbaren Wohnbaus zusammenführen?

ZWISCHEN GROSSINDUSTRIE UND KLEINGARTEN

Das Areal fungiert bisher als Puffer zwischen der Industrienutzung auf dem Siemens-Areal und der Kleingartensiedlung.

KÖRNUNG

Die Körnung der neuen Bebauungsstruktur vermittelt zwischen dem großen Maßstab der Gewerbehallen und der Kleinteiligkeit der Kleingartenhäuser. Sockelbauwerke schaffen eine urbane Fassung in der ersten Reihe entlang der L.-Padaurek-Straße. In Richtung Süden löst sich die Bebauung in Riegel und Punkte auf, die hinwärts der bestehenden Siedlung immer kleiner werden.

ABSTUFUNG

Die Gebäudehöhen der neuen Bebauung sind in Richtung der Einfamilienhäuser bzw. des Kleingartenvereins abgestuft. Entlang der L.-Padaurek-Straße stehen sieben Punkthäuser mit 8–11 Geschossen, die durch flache Sockel mit maximal drei Geschossen verbunden werden. Den mittleren Bereich bilden Riegel und Punkthäuser mit 6–8 Geschoßen. Zum grünen Rand hin löst sich die Struktur zu einer niedrigen und kleinteiligen Punktbebauung mit 3–4 Geschoßen auf.

MITTE, RAND, GASSEN, PLÄTZE UND QUERUNGEN

Im neuen Wohnquartier sind Freiräume unterschiedlicher Charakteristik geplant, die verschiedenste Bedürfnisse abdecken sollen. Ein zentraler Park bietet Platz zum Flanieren und Erholen; sowie Spielplätze für Kinder und Jugendliche. Die urbanen Gassen, Quartiersplätze und Querungen mit den Gemeinschaftsräumen im EG-Bereich sind Treffpunkte der Bewohnerinnen und Bewohner bei ihren täglichen Wegen. Bauplatzbezogene Freiräume mit Spiel- und Sitzplätzen sind ebenfalls Teil des Freiraumangebots im unmittelbaren Wohnumfeld.Gerahmt wird das Quartier von einem 10–15 m breiten Grüngürtel, der einen Puffer zur bestehenden Bebauung schafft und ebenfalls als Erholungsraum zur Verfügung steht.

DER „URBANE KILOMETER“

Im Laufe des Verfahrens wurden konkrete Größenordnungen geprüft, um ein Gefühl für das „Spielkapital“ an aktiver Erdgeschoßnutzung zu bekommen, das sich aus der Wohnnutzung ergibt. Die Frage war, wie groß das Potential für die Entwicklung einer niederschwelligen Urbanität tatsächlich ist. Dazu wurden folgende Elemente herangezogen: Wohnfolgeeinrich­tungen wie Hauseingänge, Gemeinschaftsräume und Fahrradräume im EG, sogenannte „Joker“-Einheiten (Wohn­ungen im EG, die später auch gewerblich genutzt werden können), sowie als Sondernutzungen Trägervereine (soziale Einrichtungen, Sportvereine), Schule und Kindergarten. In Summe ergeben sich aus dieser Berechnung bei entsprechender Trakttiefe ca. 1.000 Laufmeter; also ein Kilometer für eine urbane, belebte Front. Anhand des Bebauungsszenarios wurden „urbane Fronten“ definiert. Diese ergeben eine Gesamtlänge von ebenfalls etwa 1.000 Laufmetern, auf die der „Kilometer“ gut aufgeteilt werden kann. Die Bereiche mit belebender Wirkung sollen bewusst entlang der L.-Padaurek-Straße, in den „urbanen Gassen“ und an den Quartiersplätzen konzentriert werden.

REGELWERK

Basierend auf dem Ergebnis der Workshops wurde ein Regelwerk für die Bebauung erstellt, das einerseits Basis für den Bebauungsplan war und andererseits die darüber hinausgehenden Regeln festlegt. Das Regelwerk wurde im Qualitätenkatalog verankert und war somit Teil des städtebaulichen Vertrags zwischen GrundstücksentwicklerInnen und der Stadt Wien.

UMSETZUNG / FOLLOW UP

Im Anschluss an das Verfahren wurden 11 Architekturbüros mit der Ausarbeitung der einzelnen Bauplätze beauftragt. In mehreren Workshops wurde durch ein Beratungsgremium die Umsetzung der Qualitäten aus dem kooperativen Verfahren und die übergeifende Gesamtkonzeption des neuen Quartiers unterstützt.

ARBEITSMODELL WORKSHOP



Lage: Siemensäcker, Wien Floridsdorf Projektformat: Interdisziplinäres Projektentwicklungsverfahren SIEMENSÄCKER, Wien Grösse: 85.000 m2 BGF: > 12.000 m2 Planungszeitraum: 2014 –2015 Projektdauer: 18 Monate Auftraggeber: Stadt Wien MA21 Partner/innen: Miriam Liskova, Michael Sulo (SLLA architects), Luis Basabe (Basabe Arenas Palacios arquitectos), Cornelia Schindler, Rudi Szedenik (ss plus Architektur), Georg Soyka (Soyka/Silber/Soyka Architekten), Anna Detzlhofer (DnD Landschaftsplanung), Alice Grössinger (idealice Landschaftsarchitektur), Michael Szeiler (Rosinak + Partner Verkehrsplanung), Andrea Steiner (Sozialbau AG), Susanne Fabian, Walter Sturm (MA 21), Bernd Vlay, Lina Streeruwitz (STUDIOVLAY) Mitarbeiter/innen: Bernhard Angerer, Heike Vögele, Lukas Brotzge