Ist es ein städtebauliches Tabu, wenn die Offenheit eines Quartiers ihren Zauber erst durch die Geschlossenheit seiner Ränder entfacht?

Im Areal rund um die Stuhlrohrhallen, in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof und zum historischen Stadtkern von Bergedorf, soll ein neues Stadtquartier entstehen. Das Grundstück ist an drei Seiten starker Lärmbelästigung ausgesetzt, dafür orientiert es sich nach Osten hin zum Schleusengraben, einem weitgehend naturbelassenen und von Grünbewuchs begleiteten Kanal. Die adäquate Dichte war über das Projekt auszuloten.

Axonometrie

Die große Fassung entlang der öffentlichen Straßenräume spannt einen weitläufigen Binnenraum auf. Drei im Erdgeschoss offene Entreehäuser laden alle PassantInnen zum Durchqueren dieses Binnenraums ein, der mit seinen ineinander übergehenden Platzräumen attraktive öffentliche Diagonalverbindungen zu Schleusengraben, Bahnhof und Zentrum bietet. Für den fließenden Verlauf sorgen entsprechend positionierte Punktgebäude, wodurch das gesamte Quartier mit dem Schleusengraben in Verbindung steht. Am Schleusengraben selbst schafft die adaptierte Halle mit ihrem „freigelegten“ Hortus conclusus und dem Bergedorfer Binnenmarkt einen öffentlichen Hotspot für Bergedorf und ganz Hamburg. Verstärkt wird der Landmark-Charakter durch einen neuen Hochpunkt, der mit der liegenden Struktur der Halle einen spannungsreichen Dialog bildet und die Promenade am Schleusengraben als urbanes Zentrum „ausruft“: Leben am Binnenhain heißt nicht nur, in einem urbanen Zentrum mit hoher Freiraumqualität zu sein, sondern als Passant den Binnenhain zu durchqueren bzw. zu durchsuchen und damit Bergedorf auf neue Weise zu erreichen.

EINBETTUNG

Die große Fassung entlang der öffentlichen Straßenräume spannt einen weitläufigen Binnenraum auf.

Ein Rand und 12 Punkte

Nach außen fasst eine klare Randbebauung das Areal ein und öffnet es in Richtung der Stuhlrohrhallen und des Schleusengrabens. Im Inneren dieses Randes finden 12 punktförmige Gebäude Platz, die den großzügigen und
offenen Binnenraum strukturieren.

Die durchgehende Randbebauung wird durch Einschnitte und Rücksprünge strukturiert. Zur Stadt hin öffnen drei „Entreehäuser“ breite Durchgänge ins Innere. Zusätzlich ist der Rand viermal unterteilt: hier springen die Häuser vor oder zurück und gliedern die Länge der Fronten.

DER RAND: STADTFRONT UND GRÜNER VORHANG

Der Rand zeigt auf jeder Seite ein anderes Gesicht. Nach Norden, entlang der Stuhlrohrstraße, gibt er sich ruhig und zurückhaltend: Fenster und Wintergärten strukturieren die städtische Front. Nach Westen vermittelt eine Freiraumschicht zwischen Lärmbelästigung und Wunsch nach Nachmittagssonne. Der grüne Vorhang aus Laubengängen, Loggien und Wintergärten ist hier glattgezogen. Nach Süden hin, wo die hohe Baumreihe eine schöne Aussicht bietet, wird der grüne Vorhang belebt und zum Zick-Zack-Muster gerafft.

Höhenkurve versus Baumkronenkurve

Bewusst wird die Höhe von außen nach innen gestaffelt: während der Rand im Norden und Westen mit 8 Geschossen durchgeht, treppt er sich in Richtung Süden und zum Wasser auf 6 und 4 Geschosse ab, um mehr Licht durchzulassen und den Blick zum Schleusengraben freizugeben. Die Punkte im Inneren steigen nach Innen an: in den Randbereichen finden sich die niedrigeren Gebäude ein, bilden die drei Hochpunkte in der Mitte die „Bergspitze“ des Quartiers.

Stark milieubildend ist die Freiraumgestaltung mit dem lichten Hain, dessen hochkronige Bäume einen lichten grünen Schirm über die Abfolge der öffentlichen Platzräume aufspannt. Zu den Rändern hin dünnt sich der Hain aus und wird durch markante, große Einzelbäume abgelöst. Sie bilden charakteristische Ankerpunkte in den einzelnen, stark durchgrünten Bereichen der quartiersöffentlichen Freiräume. Hier befinden sich auch die Aufenthaltsbereiche mit Spiel- und Sitzgelegenheiten für die BewohnerInnen.

GEBÄUDETYPOLOGIE

Die Punktgebäude im Inneren entwickeln sich - proportional zur Gebäudehöhe - in drei Größen: Small, Medium und Large. Ihre polygonalen Umrisse und zusätzliche Abstufungen der Höhe schaffen vielfältige Wohnsituationen und Zwischenräume.

DURCHBLICKE IM BINNENRAUM

Die leicht abgeschliffenen und angeschrägten Winkel geben Durchblicke frei und vermeiden ein frontales Gegenüber.

DURCHWEGUNG UND AKTIVBEREICHE

Die wichtigsten Querungen durch das Quartier betten sich zentral in die Mitte und verbinden ebenso den Bahnhof mit dem Schleusengraben wie das Stadtzentrum mit den südwestlichen Stadtteilen.
Entlang dieses Wegenetzes entwickelt sich eine Sequenz öffentlicher Plätze, die den Bereich zwischen den Punkthäusern definieren.

FREIRAUMSTRUKTUR

In den Randbereichen, zwischen dem Rahmen und den Punkten, entwickeln sich die wohnbezogenen Freiräume mit Spielplätzen und Ruhezonen.
Die Abstufung der Höhen in Richtung zum Wasser und die offenen Stellung der Punkthäuser bietet einem großen Teil der Wohnungen Ausblicke zum Grünzug des Schleusengraben

DIE ENTREES

Drei im Erdgeschoss offene Entreehäuser am Weidensbaumweg, an der Stuhlrohrstraße und am Sander Damm laden alle Bergedorfer PassantInnen zum Durchqueren dieses Binnenraums ein, der mit seinen ineinander übergehenden Platzräumen attraktive öffentliche Diagonalverbindungen zu Schleusengraben, Bahnhof und Zentrum bietet.

DIE STUHLROHR-HALLEN

Am Schleusengraben schafft die adaptierte Halle mit ihrem „freigelegten“ Hortus Conclusus und dem Bergedorfer Binnenmarkt (im verbliebenen Indoor-Bereich) einen öffentlichen Hotspot für Bergedorf und ganz Hamburg. Verstärkt wird der Landmark-Charakter durch einen neuen Hochpunkt, der mit der liegenden Struktur der Halle einen spannungsreichen Dialog bildet und die Promenade am Schleusengraben als urbanes Zentrum „ausruft“: Leben am Binnenhain heißt nicht nur, in einem urbanen Zentrum mit hoher Freiraumqualität zu sein, sondern als Passant den Binnenhain zu durchqueren bzw. zu durchsuchen und damit Bergedorf auf neue Weise zu erreichen.

DIE STUHLROHR-HALLEN

Die Neunutzung der Stuhlrohrhallen wird abgekoppelt vom restlichen Quartier betrachtet, kann aber einen wesentlichen Impuls für die Identität des neuen Stadtteils setzen.
Die Hallen werden in ihrer Dreiteilung differenziert betrachtet und auf drei unterschiedliche Weisen re-aktiviert.
Die Halle an der Stuhlrohrstraße wird zur Markthalle umgebaut, in der die landwirtschaftlichen Produkte des Umlands verarbeitet und verkauft werden. Durch den starken Charakter des denkmalgeschützten Bestands und das spezielle und attraktive Angebot wird sie zum Attraktor weit über Bergedorf hinaus. Die mittleren Halle wird zum Freiraum erklärt.
Das Dach wird abgetragen, nur die filigranen Fachwerksträger bleiben erhalten und bilden eine visuelle Hülle, unter der sich der unverwechselbare Freiraum eines Hortus Concluses ausbildet. Die dritte Halle wird ganz abgedeckt und zum Bauplatz erklärt.

DER BONUS-TURM

Ein elegantes Hochhaus bettet sich an der Uferpromenade in die Mauern der Halle ein und ragt mit einer leichten Auskragung über sie hinaus. Das Hochhaus ist ein Mehrwert und ist für die Erreichung der Mindestflächen nicht nötig. So kann der Gewinn in den Umbau und die Aktivierung der Hallen gesteckt werden. Als Landmark des neuen Quartiers strahlen die Hallen mit dem Hochhaus an der Uferpromenade in Richtung Zentrum aus.

AM BODEN DER STADT

Die Nutzung des Erdgeschosses entspricht dem Grad der Öffentlichkeit: am Weidensbaumweg und an der Stuhlrohrstraße befinden sich zwischen den Treppenhaus-Entrees flexibel nutzbare Räume mit einer Raumhöhe von 4,00 Meter. Die Platzfolge entlang des Binnenhains wird durch „wohnnahe“ urbane EG-Nutzungen belebt (Kinderspielplätze, Waschsalons, Mikrobüros, Kindergarten, Seniorinnentreff, Bike-Repair, Quartiersalon, etc.). Am Sanderdamm kann entlang der Südfassade im EG durch Zurückrücken der Bauflucht, Erhöhen des EG-Niveaus und Schaffen eines vertikalen Grünfilters attraktiv gewohnt werden (siehe „Vorhang“).

IN DEN OBERGESCHOSSEN

In der Randbebauung sind alle Wohnungen durchgesteckt oder zur ruhigen Seite hin orientiert. Die Wohnungen in den Punkten sind fast alle mehrfach orientiert und bieten tiefe Durchblicke in den Binnenraum und darüber hinaus.

TYP (S)

Die kleinen Punktgebäude sind durch verspringende Balkone strukturiert, die mit leichten und möglichst transparenten Staketengeländern eingefasst sind. Französiche Fenster sind in einem versetzten Rhythmus positioniert, um ein lebendiges Fassadenbild zu schaffen.

TYP (M)

Versetzte französische Fenster bilden den Grundrhythmus der Fassae, der punktuelle durch liegende Panoramafenster belebt wird. Die Balkone wirken durch flächige Geländertextur in Fassadenfarbe nach außen geschlossen. Von innen ist diese Textur dunkel gestrichen und blickdurchlässig.

TYP (L)

Die Fensteröffnungen der Hochhäuser betten sich in einen stringenten Raster ein, der leichte Verschiebungen erlaubt. Die privaten Freiräume sind als Loggien eingeschnitten, um maximalen Aufenthaltskomfort trotz großer Höhe zu garantieren. Die Loggien liegen großteils an den Ecken der Gebäude. Ihre Öffnungen entsprechen ebenfalls dem Raster der Fassade. Wo es der Brandschutz erfordert, sind Blindpaneele eingebaut, sodass die Grundstruktur durchgängig erhalten bleibt.

IM BINNENRAUM

Die entsprechend positionierte Punktgebäude sorgen für einen fließenden Verlauf des Binnenraums, wodurch das gesamte Quartier mit dem Schleusengraben in Verbindung steht.

IM BINNENRAUM

Auch von den Entreehäusern bieten sich tiefe Einblicke ins Quartier.

GRÜNER VORHANG ZUR STRASSE

Nach Süden hin, wo die hohe Baumreihe eine schöne Aussicht bietet, wird der grüne Vorhang belebt und zum Zick-Zack-Muster gerafft. Zweigeschossige Wintergärten gewinnen die Südseite für die durchgesteckten Wohnungen.



Lage: Bergedorf, Hamburg, Deutschland Projektformat: geladener Wettbewerb, Entwicklung Stuhlrohrquartier, einphasiges städtebaulichfreiraumplanerisches Gutachterverfahren Projektstatus: abgeschlossen Grösse: 53.000 m2 BGF: > 183.670 m2 Planungszeitraum: 2016 Projektdauer: 4 Monate Auftraggeber: BUWOG Weidenbaumsweg Development GmbH Fachplanner/innen: Agence Ter (Landschaftsarchitekten) Mitarbeiter/innen: Stefanie Nolz, Neda Afazel, Paula Fernández San Marcos, Marta de las Heras Martínez, Ying-Chuan Chu, Martin Wild, Heike Hümpfner, Andrei Olaru, Javier Figuerola, Kai Merkert, Osama Almughanni